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Estampien (2021)

von Nils Hilbricht. Letzte Änderung: 2022-01-20

Analyse der Estampien aus "Chansonnier du Roi" (ca. 1260) und Kompositionsrichtlinien für Stilkopien

Direkt zur Musik:

Einleitung und Motivation

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La Septime Estampie Real (Anfang)

Die sieben vollständigen Estampien aus "Chansonnier du Roi" (ca. 1260) sind schöne instrumentale Musikstücke des Mittelalters. Es handelt sich um einstimmige Kunstmusik und es wäre schön, wenn es mehr von dieser Art gäbe. Deswegen möchte ich selbst welche schreiben, sogenannte Stilkopien. Diese gehorchen den (impliziten) Regeln der Originale, die man dafür erst mal analysieren und herausarbeiten muss.

Dieser Artikel setzt sich im speziellen mit Stilkopien der besagten Estampien auseinander. Er reicht nicht allein als Anleitung aus, um als moderner Musiker erste Erfahrungen mit (der Komposition) mittelalterlicher Musik zu machen. Die Zielgruppe sind Musiker, die schon über langjährige Erfahrung mit Musik zwischen 900 und 1430 verfügen und dementsprechend über allgemeines Wissen verfügen, das hier nicht vermittelt wird. Zum Beispiel werden Regeln und Tradition der einstimmigen Melodiebildung so gut wie gar nicht beschrieben, da allgemeingültig für diese Zeit (ca. 1260) und Region.

Die Quelle für dieses Kompositionswissen sind die überlieferten Stücke, in ihrer Notenform, selbst. Mittelalterliche Theorietexte über Estampien können mit einbezogen werden, aber nur wenn sie der tatsächlichen Musik nicht widersprechen. Ähnliches gilt für moderne Texte über Estampien: Sie können als Quelle für, und "Abkürzung" zu, Analyseergebnissen dienen. Schließlich kann ich nicht alles alleine herausfinden.

Beispiel 1: Johannes de Grocheo, Musiktheoretiker um ca. 1300 und durch seine Schriften oft als Autorität für "Estampie" herangezogen, behauptet die Stücke hätten 6 oder 7 Strophen. In der hier behandelten Sammlung finden sich aber genug Stücke mit 4 Strophen. Eine Kompositionsregel für die Anzahl von Strophen in einer Estampie muss sich nun selbstverständlich an der tatsächlich überlieferten Musik orientieren, egal was Grocheo schrieb.

Beispiel 2: Die Behauptung von Sekundärliteratur (z.B. "Die Musikwelt des Mittelalters", Morbach) bei instrumentalen Estampien handele es sich um "festgehaltene" Improvisationen ist für unsere Sammlung nicht haltbar. Insbesondere "Seconde", "Tierche" und "Quarte" weisen Merkmale auf, die nur durch echte, im Voraus geplante Komposition entstanden sein können. Etwa, dass erst alle rhythmischen Kombinationsmöglichkeiten taktweise durchlaufen werden müssen, bevor Wiederholungen kommen dürfen. Aber auch die "simplen" Estampien sind geplant: "Quinte" erweitert den Ambitus schleichend von Strophe zu Strophe nach oben. Die Strophen bauen aufeinander auf und sind in einer festen Reihenfolge. In einer Improvisation ist das nicht möglich.

Also: Die Grundlage der neuen Stücke ist in erster Linie die Analyse der alten. Widersprechen alte oder neue Texte der Musik dann hat die Musik recht.

Noch eine persönliche Anmerkung: Dieser Artikel sollte nicht als wissenschaftliche "Wahrheit" begriffen werden. Meine Hauptmotivation ist es Estampien zu komponieren, dafür habe ich nicht alle verfügbare heutige Sekundärliteratur bis ins Detail studiert. Schon gar nicht habe ich mittelalterliche Traktate im Original gelesen und selbst übersetzt. Es ist durchaus möglich, dass ich mich irre, besonders nach meinen ersten drei Estampien überhaupt, mit denen dieser Artikel geschrieben wurde. Ich halte es für sehr schwierig meine eigene Musikerfahrung und Vorstellungen aus der Musik herauszuhalten, selbst wenn ich mir Mühe gegeben habe. D.h. es mag, entgegen meiner Intention, die ein oder andere musikalische Phrase vorkommen, die nicht ins Jahr 1260 passt.

Aufführung von Einstimmiger Musik

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La Quinte Estampie Real (Anfang)

Die Estampien aus "Chansonnier du Roi" sind einstimmige Musik.

Die ständige Frage bei Aufführungen einstimmiger Musik ist es, wie es um Grundtöne, Bezugstöne, Borduntöne, "Akkordtöne" usw. steht. Gibt es diese überhaupt, welche Rolle spielen sie, wie oft wechseln sie. In diesem Artikel werden die Begriffe "Grundton" und "Bezugston" benutzt, ergänzt durch "Finalis". Im Prinzip meinen beide das gleiche, jedoch wird Grundton eher für das ganze Stück benutzt während Bezugstöne im Stück, höchstens ein- oder zweimal pro Estampie-Strophe, wechseln können. "Finalis" bezeichnet den Grundton der angenommen Skala und den letzten Ton des Stückes. Wenn man einen Ton zur Finalis erklärt behauptet man damit den übergreifenden Grundton des gesamten Stückes. Darüber kann man selbstverständlich streiten, besonders in den Originalen. In meinen drei neuen Estampien ist es etwas einfacher, und die Finalis steht sogar über dem Stück.

Kommt es zur Aufführungen oder Aufnahmen, egal ob historisch informierte Aufführungspraxis, LARP oder irgendwo dazwischen, muss man sich für Begleittöne entscheiden. Für diese muss man die Grund- und Bezugstöne kennen. Versucht man die Stücke, sowohl meine neuen als auch die der originalen Sammlung, als Bordunmusik zu spielen wird dies über weite Strecken gut klingen. Die "Septime" Estampie und meine Nummer 2 eignen sich hervorragend für einen nicht-wechselnden Bordun. Bei den anderen Stücken merkt man schnell, dass die Melodietöne sich aber im Laufe des Stückes auf wechselnde Töne beziehen. Das geschieht manchmal einmal pro Strophe, manchmal wird der öffnende Refrain dazu benutzt den Bezugston zu wechseln. Spielt man im Ensemble mit echten Borduninstrumenten wie Drehleiern oder Sackpfeifen muss man eine künstlerische Entscheidung treffen wie mit dieser Situation umzugehen ist: der eingebaute Instrumentenbordun wird an manchen Stellen falsch sein. Oder man reduziert die Besetzung soweit, dass man wirklich nur die Melodie spielt. Welcher Weg davon der "richtige" ist kann an dieser Stelle nicht erörtert werden.


Analyse Chansonnier du Roi

'&=U=R=U=!=E=D=U=D=C=!=b=S=!=b=:=.
La Seconde Estampie Royal (Anfang)

Literatur: Die Analyse fand auf Grundlage der Übertragung Timothy McGees in der Ausgabe "Medieval Instrumental Dances" (Indiana University Press, 1990) statt. Als Vergleich diente "Une Estampie Si Jolie Dance Music of the 13th Century" von Paul Leigh and Gill Page, "Trouvere Medieval Minstrels" (Eigenverlag, 2017).

Sekundärliteratur: "Die Estampie" von Christiane Schima (Uitgegeven bij Thesis Publishers/Rozenberg Publishers Amsterdam, 1995) Das Buch ist ein umfangreiches Überblickwerk über alles was mit "Estampie" zu tun hat. Daher geht es nur anhand zweier Beispieluntersuchungen (S.50ff) analytisch auf unsere Sammlung ein. Interessant dabei, dass die Autorin die beiden Estampiegruppen (s.u.) zwei unterschiedlichen Schreibern zuordnen kann.

Begriffe und Sprache: Da es sich bei dieser Analyse und Artikel um eine systematisch- musiktheoretische Arbeit für den modernen Leser handelt werden Begriffe und Konzepte aus unserer Zeit benutzt. Moderne musiktheoretische Terminologie ist schon für sich zu ambivalent um noch mittelalterliche Begriffe mit einzubeziehen. (Wer die meisten Bedeutungen für "Modus" findet gewinnt.)

Bei den "royal/real Estampies" handelt es sich um sieben vollständige Stücke. Die "Prime" ist stark unvollständig und wird hier nicht beachtet. Die originalen sieben Estampien sind deutlich stilistisch miteinander verwandt und es lassen sich Kompositionsregeln ableiten, die für alle gemeinsam gelten. Es ist aber auch deutlich, dass es grob zwei Gruppen gibt. La Seconde, Tierche und Quarte Estampie Royal sind länger, unregelmäßiger in ihrer Form (z.B. Takte pro Teil), melodisch gewagter und strikter einstimmig, d.h. Bezugstöne sind schwierig feststellbar und wechseln häufig. La quinte, seste, septime und uitime Estampie Real sind tendenziell kürzer, regelmäßiger, klarer Bezugstönen zuzuordnen (bis hin zu borduntauglichkeit) und melodisch "gewöhnlicher". Allerdings ist selbst das "gefälligste" Stück, die "Septime", immer noch mit genug Besonderheiten und kompositorischen Kniffen ausgestattet, dass es nicht in einen vokalen Gestus abgleitet und zu einem Stück unter vielen wird, wie eine Cantiga de Santa Maria unter hunderten gleichen.

Einzelanalysen und Notizen zu Besonderheiten

Diese Analysen standen am Anfang meiner Arbeit, von daher findet sich vieles wieder, was weiter unten in der "Anleitung zur eigenen Estampie" erwähnt wird. Das heißt aber nicht, dass hier mit dem Lesen begonnen werden muss. Vielmehr kann man diese Notizen ganz ans Ende schieben.

Man möge mir verzeihen, dass es sich teilweise um Kurzschrift und Stichpunkte handelt. Eine musikalische Analyse besteht eigentlich hauptsächlich aus Eintragungen in tatsächliche Noten, und nicht aus Fließtext. Für diesen Artikel stehen diese Eintragungen leider nicht zur Verfügung, nicht zuletzt weil ich diese in Notation eingetragen habe, die urheberrechtlich geschützt ist, ich also hier nicht abdrucken kann.

Ich hoffe, dass dennoch einige Erkenntnisse aus meinen Aufzeichnungen gewonnen werden können.

Um den Analyse-Notizen nicht zu viel Gewicht zu geben, und um die Lesbarkeit dieses Artikels zu erhöhen, wurden sie ans Ende verschoben. So geht es in den Analysen sehr oft um Bezugstöne, obwohl das für die Estampien selbst und deren Neukomposition nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ich habe lediglich relativ ausführlich dazu notiert.


Kompositionsrichtlinien

Wie schreibe ich neue Estampien?

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La Quinte Estampie Real (Anfang)

Hier folgen, zunächst im Überblick und abstrakt, dann immer detaillierter und spezifisch, erst Gedanken, dann direkte Anweisungen, wie man selbst eine mittelalterliche Instrumental-Estampie im Stile "Chansonnier du Roi" schreibt.

Für die eigene Notation muss man sich entscheiden, ob man mittelalterliche oder moderne Begriffe benutzt. Punctum oder Puncta für die immer neuen Teile, Apertum und Clausum für die wiederkehrenden öffnenden und schließenden (so benennt Johannes de Grocheo). Oder Strophen und öffnender und schließender Refrain? Letztere sind direkt verständlich, allerdings auch Begriffe aus Vokalmusik, oder sogar aus der Popmusik. Mittelalterliche Begriffe passen besser zum Anspruch, sind aber heutzutage selbst für Experten mittelalterlicher Musik Fremdwörter und können einen elitär-überheblichen Eindruck erwecken. In meinem Fall gebe ich den Puncta/Strophen neutrale Großbuchstaben und benutze Apertum/Clausum für den Refrain.

Man muss sich entscheiden ob man eine "Gesamt-Estampie" schreiben möchte, oder ein Einzelstück kopiert. Wie wir gesehen haben, sind unsere sieben Originale zwar stilistisch miteinander verwandt, aber nicht homogen. Eine "Gesamt-Estampie" würde alle Erkenntnisse zusammenfassen, sich ans Ende dieser Tradition setzen und alles zulassen, was irgendwo in der Sammlung vorkommt. Eine Anlehnung an ein Einzelstück würde so tun, als ob man vor dem Anlegen der Sammlung komponiert hätte und nicht die Übersicht über alle sieben hätte und sich mehr an einer konkreten Estampie orientieren.

Allgemeines Vorgehen

  1. Die Form der Stücke ist immer gleich: Strophe, öffnender Refrain, wörtliche Wiederholung Strophe, schließender Refrain. Dann folgen verschiedene Strophen, aber immer das selbe Refrain-paar.
  2. Grundsatzentscheidung:
    • Lange, komplexe Estampie mit sechs oder sieben Strophen.
    • Kurze, "einfache" Estampie mit ca. vier Strophen?
    • Mischtyp, der zwar nicht direkt in der Sammlung vorkommt aber keinesfalls anachronistisch ist, sofern nur Stilmittel aus der Sammlung benutzt werden. Soll heißen: Man darf auch eine Art "Septime" schreiben, regelmäßige 4T+4T Phrase, die aber mehr Strophen hat und sich ab und zu vom statischen Bezugston entfernt.
  3. Sich entscheiden ob man die strikte Rhythmusvarianz (s.u.) macht oder nicht. Das ist typisch für die Royal/Real Estampien und ich empfehle es.
  4. Zuerst Strophe 1 und beide Refrains am Stück komponieren.
    • Um es noch einmal explizit zu sagen: Der erste Refrain "öffnet", der zweite "schließt".
    • "Schließen" heißt auf dem Grundton bzw. Bezugston zu enden. Ein schließendes Ende auf der fünften Stufe ist in einstimmiger Musik nicht möglich. Eine Kadenz leitet zu diesem Schlusston hin, meist durch einen Tonschritt von oben oder unten. Kadenz werden abgeschrieben und nicht selbst erfunden.
    • "Öffnen" heißt es auf einer Dissonanz, also nicht auf dem Grundton zu enden. Das schließt die dritte Stufe, die Terz, mit ein.
    • Ambivalenz kann manchmal reizvoll sein: Im Laufe der Strophe, oder des Refrain, kann sich der Bezugston ändern, teilweise auch überraschend erst in der Kadenz. Keinesfalls in "Akkorden" denken und den Bezugston alle ein oder zwei Takte wechseln.
  5. Viel Mühe mit dem Refrain geben! Diesen hört man am häufigsten im Stück. Der Refrain kann eine eigene kleine Melodie für sich sein.
  6. Dann die Eigenschaften der Strophen planen:
    • Was soll jede Strophe ausmachen?
    • Wie verschieben und verändern sich der Tonraum und Bezugstöne von Strophe zu Strophe
    • Wie stehen die Strophen zueinander im Kontrast, was verbindet sie? Was ist besonders, was ist gewöhnlich.
  7. Jetzt die Strophen nach dem eigenen Bauplan und den Stilmerkmalen unten komponieren .
    • Keine Estampie geht direkt in die "Vollen": Je länger das Stück andauert, desto extravaganter darf es werden. Sprünge, rhythmische Dichte, ein offensichtlicher Grundgedanke pro Strophe (wie deutlich hörbare Zweitaktgruppen) etc.
    • Am Ende kommt dann evtl. noch eine gewöhnliche Strophe, die alles wieder beruhigt, abrundet und abschließt. Wenn nicht werden die Ensembles in der Interpretation einfach noch einmal die erste Strophe spielen :)
    • Bei Besonderheiten und Extravaganzen muss man sich immer fragen: Wie oft kommt so etwas in den Originalen vor? Wie viele Estampien müsste ich schreiben, damit ich das einmal machen darf?
  8. Ideen und Regeln für Stilkopien

    Mit dem Versuch zu systematisieren, aber leider als lose Auflistung herauskommend, hier Richtlinien und Ideen um eine eigene Estampie zu schreiben. Die Liste ist lose sortiert; vom Rhythmus über Metrum und Form zu Tönen und tonalem, und schließt mit Kadenzen ab.

    Diese Liste wird nur dann verständlich, wenn man sich selbst mit der Originalsammlung beschäftigt, diese also zumindest selbst von Noten spielt und ab und zu innehält um hier präsentiertes selbst nachzuvollziehen. Man sollte jetzt die Noten zur Hand haben um die häufigen Beispiele und Referenzen direkt nach gucken zu können.

    Einige musikalische Sachverhalte erschienen mir als Autor vielleicht so selbstverständlich, dass ich sie nicht aufgeschrieben habe. Ich hoffe diese nach entsprechenden Rückmeldungen auch aufzuschreiben. Andere Merkmale habe ich vielleicht nicht gesehen und kann nur hoffen, diese in späteren Versionen dieses Artikels nachzutragen.

    Zusätzlich zu dieser Liste muss auch die schriftliche Einzelanalyse, und schließlich die eigene Untersuchung der Originale, erfolgen. Gerade die Eigenschaften, die nur eine einzige Estampie hat (z.B. die systematische Erhöhung des Tonraumes in "Quinte") geben Anhaltspunkte dafür wie viel Individualität für den historischen Rahmen einer Stilkopie erlaubt ist. Man muss sich hier je nach Einzelfall fragen: Wie "extrem" ist diese musikalische Erscheinung. Ist die Idee, die ich komponieren möchte in ihrer Außergewöhnlichkeit vergleichbar mit diesen Einzelerscheinungen der Originale oder lehne ich mich zu weit aus dem Fenster?

    Damit verlassen wir den Rahmen des "Chansonnier du Roi" und müssen immer weitere Kreise als Quellen heranziehen, und leider auch immer spekulativer werden. Zuerst sind weitere Stücke der selben Sammlung (etwa "Dansse Real") zu betrachten, dann weitere Stücke aus der selben Zeit und Region, dann Stücke aus deren Vergangenheit und immer weiter entfernteren europäischen Regionen. Schließlich der Bereich der Spekulation: Stück aus Sammlungen, die in der nahen relativen Zukunft lagen (z.B. 1280), da wir die teilweise jahrzehntelangen Verzögerungen zur Aufnahme in Sammlungen mit einbeziehen müssen. Das Stück kann durchaus schon früher geschrieben worden sein und damit vor oder zeitgleich mit unseren Estampien liegen. Weiter in der relativen Zukunft wird es dann sicher anachronistisch: Man kann sich natürlich fragen wie eine Estampie Oswald von Wolkensteins (1377-1445) geklungen hätte, aber damit hat dieser Artikel nichts mehr zu tun.

    Rhythmus
    • Alle Estampien stehen im Dreiertakt. Eigene Stücke sollten im 3/4 Takt notiert werden.

      '3=====.

    • Mögliche Notenwerte: Punktierte Halbe, Halbe, Viertel, Achtelpaare. Es gibt keine Sechzehntelnoten und keine punktierten Viertelnoten, d.h. auch keine einzelnen Achtelnoten. Auch nicht als Synkope 'V=F=V=F=!. Überbindungen gibt es nicht. Pausen gibt es nur als Viertel und Halbe und werden nur für Kadenzen benutzt.

      'f¶=!=f=!=V=!=F=F="=f===:=!=V===;=.

    • Alle möglichen Kombinationen und Permutationen aus den möglichen Notenwerten kommen vor. Es überwiegen Takte mit Halben, Viertel und einem einzigen Achtelpaar. Vier Achtel hintereinander, oder auch sechs, kommen jedoch auch oft genug vor. Mehr als sechs Achtel direkt hintereinander kommen nicht vor. Diese müssen durch eine Viertelnote getrennt werden (z.B. "Quarte" Strophe 6), aber selbst diese Figur kommt selten vor. Für weitere statistische Einschätzung bitte selbst in die Originalnoten gucken. In "Seconde" Strophe 3 und "Quarte", durch den Refrain, finden sich die meisten Achtelketten.

      Zum Beispiel:

      'f=V=!=F=F=V=V=!=f¶=!=V=V=V=!=F=F=F=F=F=F=!=f=F=F=!=

    • Die Estampien der ersten Gruppe (insb. "Seconde", "Tierche") folgen einem strikten(!) Bauprinzip das zur Nachahmung einlädt: Jede Kombination aus erlaubten Notenwerten muss einmal gebracht werden, bevor Wiederholungen möglich sind. Es gibt 15 verschiedene rhythmische Taktmuster. Benutzt man also Halbe-Viertel im ersten Takt müssen erst die anderen 14 Takte folgen, bevor es wieder "Halbe-Viertel" gibt. Das wird aber nur einen Durchlauf lang gemacht, anschließend ist alles zur direkten Wiederholung frei. Mit diesem Prinzip kann man die erste Strophe, die Refrains und evtl. den Anfang der zweiten Strophe gestalten, dann sind alle Taktmuster "aufgebraucht".

      Hier befindet sich ein PDF zum Ausdruck, in dem alle Taktmuster zum Abhaken aufgelistet sind.

    • Achtelpaare sind meist getrennt und stehen für sich. Aber ebenso kommt regelmäßig (in jeder Estampie) die auffällige Figur vor, dass Achtel benutzt werden um einen Doppeltakt zu bilden. Die Achteln ziehen als Lauf über die Taktgrenze hinaus und verschleiern durch ihr Bewegungsmoment den Schwerpunkt auf der eins des zweiten Taktes. z.B. "Tierche" Anfang der dritten Strophe. Oder "Seste" im schließenden Refrain.

    • Binnenkadenzen, also zur Hälfte oder zum Ende von Strophen, werden häufig durch Pausen deutlicher gemacht, wie auch immer diese Pausen in der Aufführungspraxis interpretiert werden. Häufig ist eine Halbe plus Viertelpause, oder sogar eine Viertel mit halber Pause. Einmal in "Tierche" zwei Viertel + Pause. Oft mit einer punktierten Halben im Takt davor. Die Pausen sind nur in Kadenzen zu finden.

      'f¶===!=f===:="=f¶===!=V=;="=U=D=C=F=G=!=V=V=:="=

    Metrum und Form
    • Es sollte sich insgesamt nach "Kurze Estampie" oder "Ausführliche Estampie" anhören. Die unterschiedliche Taktzahl pro Strophe ergibt sich daraus, weil man mehr oder weniger zu "sagen" hatte, oder mal etwas außer der Reihe machen wollte.

    • Die Anzahl der Takte pro Strophe ist ein planbares Strukturelement. Während die meisten Estampien ohne erkennbares Muster schwanken (s.o.) hat "Quinte" einen systematischen Plan: Die ersten beiden Strophen sind jeweils 4 Takte + 4 Takte (denn der erste öffnende Refrain wird noch nicht als solcher erkannt und als zweite Hälfte der Strophe begriffen). Strophe 3 ist dann plötzlich nur noch 4T+3T, Strophe 4 nur 3T+3T. Es wird also reduziert. Wollte man dies in einem eigenen Stück machen könnte man nun mit 2T+2T fortführen (und nicht etwa mit 3T+2T, denn alles in der Musik beschleunigt sich nach hinten, auch eine Reduzierung selbst). Dann aber nicht 1T+1T, da zu vorhersagbar, sondern zum Ende nochmal 4T+4T als normale Abrundung, so wie in "Seconde" (dort aber aus anderen Gründen).

    • Auftakte: Alle Auftakte sind mit einer Viertelnote (Ausnahme: "Seste", Achtelpaar) Die längeren Estampien ("Seconde" bis einschl. "Quarte") sind komplett volltaktig. Die anderen Stücke fangen (bis auf "Septime") mit Auftakten an. "Quinte" wechselt zur zweiten Strophe in den Volltakt und bleibt. "Seste" wechselt nur zur 3. Strophe in den Volltakt und hat in der 4. wieder einen Auftakt. "Septime" ist volltaktig, bis auf die 3. Strophe, die mit einem Auftakt beginnt.

      Der Wechsel von Volltakt zu Auftakt vollzieht sich unvermittelt zu Beginn der Strophe. Der Wechsel von Auftakt zu Volltakt passiert manchmal mit der Binnenkadenz in der Mitte der Strophe. Nach dem Kadenztakt Halbe+Viertelpause wird volltaktig weitergespielt. z.B. in "Septime" Strophe 3. Das geschieht, selbst wenn die nächste Strophe wieder auftaktig ist, z.B. "Uitime" Strophe 2.

      Zusammengefasst ist der Auftakt in den "royal/real" Estampien ein Phänomen der Strophenanfänge. Danach kann man ihn nicht mehr wahrnehmen.

      In einer eigenen Estampie kann man in kurzen Stücken über den Auftakt frei verfügen und jederzeit wechseln. Es geht eh nur um den Strophenanfang, der Rest der Strophe bleibt unberührt vom "Aufaktgefühl". In einem langem Stück kann man strikt dem historischen Vorbild folgen und keinen Auftakt verwenden. Ich gebe aber zu Bedenken, dass mit lediglich drei langen Estampien nicht genug Daten zur Verfügung stehen um eine strikte Regel daraus abzuleiten. "Länge des Stückes" und "Auftakt" haben weder im Mittelalter, noch in der restlichen Kompositionsgeschichte einen kausalen Zusammenhang. Es gibt keinen Grund anzunehmen eine lange Estampie mit Auftakt (und freiem Wechsel) ist anachronistisch.

      Natürlich muss das Ende des schließenden Refrains bei freien Wechseln dementsprechend verkürzt oder verlängert werden. In einer Notation, die den Refrain nur einmal aufschreibt und sonst nur die Strophen auflistet kann den Musikern durch eine kurze Textanmerkung Bescheid gesagt werden, dass eine Anpassung nötig ist.

    • Die beiden Refrain-Varianten haben den gleichen Anfang, oder "Kopf" und verändern sich dann nach hinten. In einem kurzen Refrain mit nur vier Takten ist dementsprechend relativ viel gleich. In den längeren Refrains (bis zu 8 Takte) kann es natürlich auch bis zur Hälfte dauern, bis es sich verändert. "Seconde" zeigt ein einfach zu verstehendes Beispiel. Auch ein einfaches Beispiel ist "Quinte", wo die ersten 1 1/2 Takte exakt gleich sind und dann der Rhythmus gleich bleibt und ein anderer Kadenzton gespielt wird:

      Quinte Refrains: '&=3=Y=Y=X=!=W=H=G=H=I=!=Z=i===!=i===)=======Y=Y=X=!=W=O=G=O=G=!=V=g===!=g·==="=

      Die interessantere Technik ist es zwar genau gleich anzufangen, aber dann sehr schnell (zweiter Takt) in die ein oder andere Richtung rhythmisch zu variieren, aber die gleichen Töne zu spielen. Bis dann zur Kadenz komplett abgewandelt wird. Beispiele sind die Refrains von "Tierche" und "Seste". Da es sich durch das rhythmische Verkürzen bzw. Verlängern zwangsläufig ergibt, dass man anders fortführen muss ergibt sich die Variation fast von selbst:

      Seste Refrains: '&=3=U=E=D=U=!=V=e===!=R=e===!=e===)=======U=E=D=E=F=!=E=D=c===!=c===!=

    • Die Strophen können unterschiedlich zum Refrain sein. Meistens ist der Refrain eine eigene Idee, die sich organisch aus der ersten Strophe ergibt. Danach bringt jede Strophe eine eigene Idee. Es gibt aber auch Bezüge: In "Tierche" benutzt schon die Strophe die Ideen des Refrains, vor allem die sehr markante Figur in Takt 5 der ersten Strophe und jeweils der erste Takt der Refrains.

    • Die Varianz zwischen den Strophen steigt zum Ende hin. Zwischen den ersten beiden Strophen gibt es nur subtile Unterschiede. Erst dann werden durch Akzidenzien, Auftakte, mehr oder weniger Takte, große Sprünge oder lange Achtelfiguren deutlich hörbare Unterschiede zwischen den Strophen hergestellt.

    • Der schließende Refrain kann, wie in "Quarte" mit 8 Takten, schon ein eigener Teil, eine eigene Melodie, sein.

    • Die Form der Refrains wird gestreckt durch interne Erweiterung und Interpunktion. d.h. Wiederholung von Takten, die eigentlich schon ihre Funktion erfüllt haben. Geht man von einer Viertakt-Form als Basis aus ist die Funktion des letzten Taktes der Schlusston, der vorletzte bereitet vor etc. Wiederholung eines Funktionstaktes bringt also z.B. zwei oder mehr "vorletzte" Takte. Wird nach dem letzten Takt noch mehr wiederholt nennt man dies "Interpunktion", ein auskomponiertes Satzzeichen, dass nochmal deutlich machen soll, dass hier die Finalis und Schluss ist.

      Interpunktionsbeispiel: Der schließende "Seconde"-Refrain besteht eigentlich nur aus vier funktionalen Takten, seinen ersten Vier: Zwei Takte um den Quintton herum erzeugen Spannung, dann kommt die umspielte Tenorklausel, also Schritt von oben, in den Grundton, gefolgt von einer Pause. Hier ist alles gesagt, die Phrase ist zu Ende. Es war aber anscheinend noch nicht deutlich genug, es folgt die Interpunktion: Fünf Takt lang wird im Prinzip die Tenorklausel wiederholt.

      Seconde Schluss: '&=W=Y=X=!=G=F=W=U=!=D=C=D=E=T=!=c===:=!=D=C=T=R=!=c³===!=c³===!=T=C=B=S=!=c³===.

      Erweiterungsbeispiel: "La Quarte Estampie Royal" im schließenden Refrain steigt von der Unterquinte zum Grundton auf. Um die Spannung und den Reiz zu erhöhen geht es am Grundton vorbei bis zur Terz, die umspielt wird und nochmal zweite Stufe und Leitton von unten bringt um alle wichtigen Kadenztöne abzudecken. Dann kommt die Finalis. Nur, dass dies in den Takten 1,2 und 3 des schließenden Refrains passiert. Der 4. und 5. Takt sind eingeschobene Wiederholungen des 3. Taktes und haben die gleiche Funktion. Takt 5 kann bringt dann noch den Leitton. Takte 7 und 8 sind dann eine kleine Interpunktion.

      Quarte Schluss: '&=b===S=!=e===V=!=G=F=G=E=V=!=g===W=!=G=F=G=F=E=D=!=e===U=!=V=E=D=U=!=eµ===.

      Auch dieser Refrain besteht eigentlich nur aus vier Takten, ein klarer Ursprung in der Tanzmusik. Aber da es sich um Kunstmusik, und nicht Gebrauchstänze handelt (es werden keine Bewegungen gemacht) kann man diese Erweiterungen komponieren. Es geht nicht darum aus Prinzip das intuitive Gefühl von Viertaktphrasen des Publikums zu enttäuschen. Ein Gegenbeispiel ist der schließende Refrain von "Tierche", der die ungerade Zahl von sieben Takten hat, aber dennoch absolut stringent und nachvollziehbar ist. Wenn man nicht nachzählt wird man nie darauf kommen, dass es sieben Takte (in tatsächlicher Tanzmusik undenkbar!) sind.

    • Noch einmal als eigener Punkt: Den Estampien ist "bewusst", dass es sich eigentlich um Viertaktphrasen handelt. Es wird als musikalische Kunst (so meine Interpretation der Analyse!) begriffen, mehr aus diesem Prinzip zu machen. Dies gilt nicht nur für die Refrains (s.o.), sondern auch für die Strophen.
    Tonalität, Tonvorrat, Skala und "Tonarten"
    • Die Estampien sind tatsächlich einstimmig. Selbst wenn man die Entstehungsgeschichte, Notation etc. ignoriert und nur die moderne Übertragung in Betracht zieht kann man keine fehlenden Stimmen unterstellen. Auch kann man keinen fehlenden Text unterstellen. Soll heißen: Die Musik ist komplett, so wie sie sich einstimmig und instrumental darstellt.

    • Die Bezugs und Grundtöne stehen in der Originalsammlung natürlich nicht in den Noten. Aber als erfahrene Musikhörer- und/oder Interpreten sind diese relativ leicht aus der Melodie abzuleiten. Stilkopien können sich natürlich entscheiden Interpretationshilfen in den Notentext zu schreiben.

    • Der Bezugstonwechsel kann an naheliegenden Stelle wie Strophenübergängen oder Binnenkadenzen erfolgen, aber auch überraschend. So fängt "Seste" klar auf F an und wechselt plötzlich am Ende des schließenden Refrains mit einer klaren Kadenz nach D.

    • Der Grundtonwechsel im Terzabstand (z.B. Dorisch - Lydisch) ist die häufigste Erscheinung.

      Seste Refrains, öffnend lydisch/ionisch (durch das c), schließend dorisch:
      '&=3=U=E=D=U=!=V=e===!=R=e===!=e===)=======U=E=D=E=F=!=E=D=c===!=c===!=

    • Ist der Grundtonwechsel zeitlich zu knapp um deutlich wahrgenommen zu werden bietet sich eine Interpunktion (s.o.) an.

    • Manche Estampien haben einen statischen Grund- oder Bezugston. der sich in einer Aufführung als Bordun eignen würde, z.B. "Septime", oder auch "Tierche". Aber "Seconde" ist weit weg davon. Der Bezugston ändert sich mindestens einmal pro Strophe und innerhalb des Refrains. Für eigene Estampien ist also alles möglich, nur muss man vorsichtig sein keine "Akkordmusik" zu unterstellen. Für den Autor persönlich ist die Konsequenz aus "Seconde" nicht die schnell wechselnden Bezugstöne als Begleitung zu spielen, sondern eher eine tatsächlich einstimmige oder heterophone Interpretation zu versuchen. Die Zeit des Quint- und Quartorganums ist um 1260 schon lange vorbei. Eine eigene Estampie zu schreiben mit dem klaren Ziel, dass auf der Melodie ständige Quintparallelen gespielt werden sollen wäre ebenso anachronistisch wie moderne Dur/Moll/Sept-Akkorde einzubauen.

    • Tonumfang und Tonvorrat. Der Umfang umfasst höchstens 1 1/2 Oktaven. "Quarte" hat den größten Ambitus mit einer vollen Oktave und zusätzlich noch drei Töne bis zur Unterquinte. Abweichungen von den Stammtönen sind das übliche b und h sowie das hohe es'. Das tiefere es kommt nicht vor. Ebenso wird das hohe es' ausschließlich als obere Wechselnote zum d' verwendet. Absolut gesprochen ergibt das folgende Töne, die insgesamt zur Verfügung stehen: c d e f g a b/h c' d' e'/es' f' . Weitere freie Leittöne, Musica Ficta etc. stehen nicht zur Verfügung.

      Tonvorrat: '&=r=s=t=u=v=w=èx=øx=y=z=ë{=û{=|=

      Anmerkung: In beiden von mir verwendeten Übertragungen haben "Quinte" (sowie die unvollständige "Prime") noch das obere g' und a'. Beide aber verschieben den Tonraum insgesamt eine Quinte nach oben, haben also g als tiefsten Ton, statt c. An dieser Stelle wäre ein Blick in die Quellen und zeitgenössische Theoriewerke nötig, um in Erfahrung zu bringen ob man diese beiden Tonräume mischen darf. Bis dahin werde ich meine eigenen Estampien auf den obigen Tonumfang beschränken. Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass "Quarte" mit 1 1/2 Oktaven immer noch den größten Ambitus, relativ gesehen, hat. Eine Einbeziehung von g' und a' wäre also in jedem Falle Spekulation.

      Als moderne Musiker müssen wir uns um diesen erweiterten Tonraum auch keine Gedanken machen, da wir unsere normale Skala c-f' beliebig transponieren können. Transposition verändert die Identität einer Skala oder Tonart nicht.

    • Tonverwendung: Unabhängig des Bezugston wird die oben erwähnte Skala in allen Stücken verwendet. Der Wechsel von b und h kann jederzeit im Stück passieren und steht zur freien Verfügung. Meist ist er jedoch auf bestimmte Strophen beschränkt, um diese besonders auszuzeichnen. Wann b, und wann h in mittelalterlicher Musik verwendet wird (Kontext, Hexachorde, "Una nota super la semper est canendum fa" usw.) kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Das hohe es' wird nur als obere Wechselnote zu d' benutzt und kommt selten vor. Es steht daher nicht zur freien Verfügung, sondern sollte analog zu den Originalstellen verwendet werden: "Uitime" Strophen 2 und 5. Beide Stellen sind identisch.

      Es als obere Wechselnote: '&=Y=Z=ë[=!=Z=Y=èO=G=!=f¶===!=e===:=

    • Skala + Bezugston = Tonart. Die Gesamtanalyse hat ergeben, dass unter Einbeziehung aller möglicher Bezugstonwechsel während der Stücke nicht alle "Kirchentonarten" (dorisch, phrygisch etc.) verwendet werden. Wie immer ist dorisch stark vertreten. Die typische "Mischtonart" von schnell wechselndem Lydisch und Ionisch (durch b/h) kommt auch sehr häufig vor. Mixolydisch spielt eine untergeordnete Rolle: im "Prime" Fragment und Mixolydisch ergibt sich in "Uitime" kurz durch die Verwendung des es'. "Quinte" ist komplett in Aeloisch, mit der bereits erwähnten Transposition des Tonraums um eine Quinte nach oben. Phrygische Wendungen kommen überhaupt nicht vor. Das sollte aber nicht davon abhalten eine eigene Estampie mit phrygischen Verhältnissen zu schreiben. Statistisch ist phrygisch eh eine seltene Tonart, so dass es durchaus sein kann bei sieben aufgeschriebenen Estampien keine phrygische zu finden ist, obwohl das zeitgenössisch durchaus möglich gewesen wäre. Soll heißen: Phrygisch ist eine normale Tonart und es besteht kein kausaler Zusammenhang, aus dem sich ergibt, dass Estampien nicht phrygisch sein dürfen.

    • Die jeweils erste Strophe beschränkt sich im Tonvorrat auf einen Fünftonraum um einen Bezugston herum. "Seconde" und "Septime" erweitern auch ein- bis zweimal auf einen Sextambitus. In Strophe 2 wird der Tonraum erweitert. "Seconde" benutzt in Strophe 2 eine komplette Oktave auf einmal, alle anderen eine Septime, wobei das nicht heißt, dass alle Töne ausgereizt werden und gleich häufig vorkommen. Man kann auch weiterhin einen Kerntonraum von 4 bis 5 Tönen benutzen und nur ab zu und, kadenzvorbereitend oder zum Phrasenende, die übrigen Töne benutzen.

    • Tonschritte sind, wie in aller Musik, deutlich am häufigsten zu finden. Tonwiederholungen kommen auch häufig vor, manchmal sogar als Idee für eine Strophe ("Seconde" Strophe 4). Dazu später mehr.

      Sprünge gibt es als Terzen, Quarten und Quinten. Es finden sich eigentlich keine Sext-, Septim- oder Okavsprünge (s.u.). Häufig ist die Figur eine Quarte oder Quinte nach unten, und direkt wieder zurück zu springen. "Seconde" direkt der erste Takt von Strophe 1 und von Strophe 2. Es ist eine Quarte in Strophe 1, da hier vom Bezugston f zu seiner Quinte c (Oktave tiefer) gesprungen wird. Es ist eine Quinte in Strophe 2 weil hier von der Quinte a zu ihrem Bezugston d gesprungen wird. Man springt also zwischen Bezugston und Quinte hin- und her, nach oben oder nach unten.

      Wechselsprünge vom und zum Bezugston: '&===U=R=U="===W=S=W="=

      Bei Sprüngen aller Art sollte man auch beachten, ob man tatsächliche Sprünge wahrnimmt oder ob es sich eher um Phrasenabschlüsse handelt, gefolgt von einer nächsten Phrase, so dass sich zufällig ein Sprung ergibt. Ein Ende/Neuanfang findet sich in "Seste" Strophe 4 Takt 4 wo nach der Pause sogar ein Sextsprung in den Noten stünde. Oder in "Seconde" wo zwischen Schlusston des schließenden Refrain eine Septime nach oben zu Strophe 4 gesprungen wird. Übergänge zwischen Teilen werden allerdings vom Hörer nicht wahrgenommen, und Satztechnikregeln müssen an Teilübergängen nicht befolgt werden.

      Nicht als Sprung wahrgenommen, "Seconde" Strophe 4: '&=T=C=B=S=!=c³==="=Y=i===!=W=g===!=

    • Es kommen häufig Tonwiederholungen vor, meist zwei, aber bis zu vier hintereinander. Diese werden oft auf beliebige Weise in Achtelpaare umgewandelt. Beispiel: "Tierche" Takt 1, "Seste" schließender Refrain Anfang. Diese Floskeln, transponiert auf alle Tonstufen, sind sehr typisch und können bei eigenen Stücken ruhig häufig verwendet werden.

      '&=S=C=D=S="=T=C=B=S="=G=F=W=U="=D=C=D=E=T=!=c===:=!====

    • Innerhalb Achtelketten werden keine Töne direkt nacheinander wiederholt. Nur am Anfang einer Achtelkette kann sich ein Ton wiederholen, in Form einer Viertel als Startpunkt (z.B. "Seconde" Strophe 4).

    • Am Ende von 4er oder 6er Achtelketten steht ein Tonschritt in einen größeren Notenwert. Es wird nicht abgesprungen und nicht der letzte Ton wiederholt. Ausnahmen: "Seconde" Strophe 3 Takte 7+8 Terzabsprung. "Tierche" Strophe 5 Takt 7: Tonwiederholung am Ende der Kette. Auch der Einstieg in Achtelketten geschieht schrittweise oder als Tonwiederholung (s.o.) Achtelpaare werden überwiegend schrittweise eingeführt und beendet, aber nicht ausschließlich. Wobei diese Gesetzmäßigkeit ebenso durch die überwiegende Häufigkeit von Tonschritten insgesamt erklärt werden kann. Ein Sprung in eine Achtelkette ist gesamt-musikalisch (außerhalb dieser Sammlung) weniger schlimm als ein Absprung. Für die eigene Estampie sollte man besser nicht diese Ausnahmen suchen. Das Verhältnis von Schritten und Sprüngen, sowie die Stellen von Sprüngen sind sehr wichtig für die stilistische Identität. Hier besser genau das nachmachen, was uns die originalen Estampien zeigen.

    • In der Tendenz fangen Strophe und Phrasen auf Konsonanzen an (Grundton und Quinte). Das ist aber keinesfalls eine Regel, es gibt genug Gegenbeispiele. Es ist aber deutlich genug, um es als den Normalfall zu begreifen. Eine wirkliche Entscheidung ob es sich um eine Konsonanz oder Dissonanz handelt ist auch manchmal gar nicht möglich, wenn der Bezugston ambivalent gehalten wird.

    Kadenzen
    • Innerhalb eines Stückes werden mehrere Arten von Kadenzen benutzt. "Kadenzen" hier im allgemeinen Sinne als musikalischer Spannungsabfall ("cadere" - lat. fallen) und Abschluss. Kadenzen werden in der Regel bei Stilkopien aus den Originalen kopiert. Bei einer eigenen Estampie sollte man das zumindest bei der Abschlusskadenz auch machen.

    • Am wichtigsten ist die Kadenz am Ende des schließenden Refrain, die auch gleichzeitig das Ende des gesamten Stückes darstellt. Wie oben bereits beschrieben sind diese Hauptkadenzen teilweise durch massive Interpunktionen verstärkt. Siehe hierzu die Grafik unten.

    • Die Strophen haben mindestens eine kleine Kadenz am Ende, vor dem Refrain. Je nach Länge auch noch eine Binnenkadenz in der Mitte. Diese können entweder schließend oder öffnend sein. Es finden sich alle Varianten aus konsonanten und dissonanten Zieltönen wieder. Es handelt sich meist um einen langen Ton: punktierte Halbe oder Halbe mit Viertelpause. Aber auch die Tonwiederholung mit Viertelpause findet sich regelmäßig in der ersten Estampiegruppe.

      Einige Binnenkadenzen: '&=S=V=W=!=U=;="=V=W=V=!=e===:="=b===S=!=b===:="=C=D=U=T=!=c===:="=D=E=F=E=D=E=!=V=V=:="=

    • Am häufigsten findet sich als vorletzter ein Ton im Sekundabstand, also wird ein Tonschritt zum letzten gemacht. Heute würden wir sagen "Tenorklausel" oder "Diskantklausel" (je nach Tonart ohne Leitton). "Seste" hat eine Quartsprung ("Bassklausel") im öffnenden Refrain, das ist aber eine Ausnahme. Diese Wendung ähnelt eher den oben erwähnten Quart- und Quintpendeln und nicht der Bassklausel des Barock.

    • Wie schon gesagt müssen Binnenkadenzen nicht zwingend auf den konsonanten Hauptstufen des Bezugstons enden (Prime, Quinte, Terz). Ein Beispiel ist "Uitime" Strophe 5. Zum Bezugston F steigt die erste Phrase von e' herab und endet im Tritonusrahmen b' zur Binnenkadenz, allerdings wird das e' als Leitton zum f' gehört, damit ist es ein Quintrahmen in der Wahrnehmung. Jedenfalls ist Zielton b', "nur" die Quarte zu f'.

    • Sollte sich in ihrer Notenausgabe von "Uitime" am Ende ein Absprung vom Leitton in die zweite Stufe befinden (Achtel: f e zu g) handelt es sich um einen Übertragungsfehler, der leider auch etwas Verbreitung in Aufnahmen gefunden hat. Es handelt es sich in Wirklichkeit um eine gewöhnliche Diskantklausel: '&=U=T=U=.

    • Noten von typischen Kadenzen für Estampien


    Kommentare und Eigenanalysen zu meinen drei neuen Estampien

    Dieser Kommentar soll Einblick in den Kompositionsprozess geben. Insbesondere für Estampie #3 habe ich viele Planungsgedanken aufgeschrieben, die evtl. als Anregung für eigene Estampien dienen können.

    Alle drei neuen Estampien sind tendenziell stärker als die Originalsammlung an einen statischen Grundton gebunden. Der sehr typische mittelalterliche Wechsel des Bezugston (aus heutiger Sicht) um eine Terz, etwa Dorisch/Lydisch, findet statt, aber nicht viel darüber hinaus.

    Estampie Nummer Eins

    Link zu den Noten von Nummer Eins

    Die erste Estampie (2021-10-20) widmet sich Tonwiederholungen, und wie diese ausformuliert werden können. Im Vergleich zu den originalen werden hier zu viele Tonschritte benutzt. Es ist noch nicht stilbrechend, aber immerhin auffällig genug, dass dies als "TODO" für Estampie #2 eingeplant wurde. Am Ende ist mir aufgefallen, dass ein Takt-Rhythmusmuster (Viertel-Halbe) sowohl in der ersten Strophe als auch im öffnenden Refrain vorkommen. Nach viel herumprobieren habe ich mich dazu entscheiden, es beizubehalten, weil es einfach besser klingt. Das alte europäische Kompositionsprinzip: Klanglichkeit schlägt Regeltreue. Der Tonhöhenverlauf ist in allen Strophen ein Bogen von tief nach hoch und zurück. Es entsteht ein Wellenverlauf über alle Strophen hinweg. Bögen und Wellen kommen in den originalen Estampien oft vor, allerdings nicht in dieser Ausschließlichkeit. Die Schlusstöne der Strophen sind immer unterschiedlich. In dieser extremen Form kommt das in den Originalen nicht vor, aber auch dort ist eine Tendenz zu beobachten unterschiedliche Schlusstöne pro Strophe zu haben. (Siehe auch Analyse zur "Quarte")

    Estampie Nummer Zwei

    Link zu den Noten von Nummer Zwei

    Die zweite Estampie (2021-10-31) sollte den Wechsel zwischen Auftakten und Volltakten benutzen, auch weil ich das im ersten Stück nicht gemacht habe. Das bedeutet, dass die Stücke miteinander verbunden sind und eine Sammlung darstellen, wie auch bei der originalen Sammlung darauf geachtet wurde, dass die Stücke unterschiedlich sind. Des weiteren geht es hier um die tonale Schwebe zwischen Lydisch und Dorisch. Vom Gesamteindruck orientiert sie sich an der "Septime", regelmäßig, kurz, aber immer noch kein Gebrauchstanz, daher Form der Strophen: 4 Takte, 8T, 6T, 6T, Refrains je 4T.

    Estampie Nummer Drei

    Link zu den Noten von Nummer Drei

    Die dritte Estampie (2021-11-13) besteht, mehr als die anderen, aus Floskeln und Zitate der mittelalterlichen Stücke. Ein Kerngedanke waren dabei die häufigen Kadenz-Interpunktionen und Betonungen der Finalis, besonders gut zu sehen in der "Tierche". Auch die Form orientiert sich an "Tierche": Der Refrain sollte ein eigenes, kleines Mini-Stück werden, die Strophen je um die 8 Takte. Die rhythmische Varianz ist nicht so ausgeprägt wie in den anderen beiden Stilkopien. Tonal konzipiert wurde das Stück in F mit b als Generalvorzeichen (wie in "Uitime"). Das es' als obere Wechselnote wurde hier auch benutzt, vorsichtig in dem Maße wie es auch in den originalen verwendet wurde. Der Tonumfang hingegen wurde voll ausgeschöpft; nicht anachronistisch aber durchaus außergewöhnlich. Direkte Zitate und Floskeln sind z.B. Takt 7 (aus "Septime") oder dessen Variation in Takt 29 (aus "Uitime"). Kadenzen und Binnenkadenzen sind meistens Zitate.

    Die Anlage der Strophen geschah hier mit großer Absicht. Alle Tonangaben beziehen sich auf den Grundton F.

    • Strophe 1 geht direkt nach unten. Die anderen beiden Estampien steigen direkt auf. Außerdem wird der Leitton (e) bis zur Kadenz des schließenden Refrain hinausgezögert. Der Bezugston ist deutlich F.

    • Der öffnende Refrain vermeidet ebenfalls den Leitton und durch den Quintwechselsprung a-d-a (T. 11) mit anschließender Kadenz nach A wird der Bezugston zum D verschoben.

    • Strophe 2 steigt sofort und beschleunigt den Anstieg durch die lydische Quarte (h), die als Quintleitton funktioniert. Gleichzeitig ist es eine neue Farbe und zeigt, dass man in dem Stück mit einer erweiterten Skala rechnen kann. Die Verwendung von b und h gleichzeitig ist typisch dorisch und verschiebt den Bezugston weiter nach D. Lediglich Strophenschlusston G ist sowohl in Bezug zu D als auch zu F leicht dissonant (kommt auch vor in Takt 4 von "Quarte").

      Es ist zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr ganz klar ob der Anfang in F, Strophe 1, rückblickend eine Besonderheit darstellte oder ob hier absichtlich die Balance nach D kippt. Zumal der folgende öffnende Refrain auch nach "D" klingt. Strophe 2 ist außerdem metrisch-formal nicht ganz eindeutig, da nach innen erweitert. Alles in allem sind wir weit weg von improvisierter Tanzmusik sondern mit Berechnung wird hier versucht das "intuitive Mitstampfen" zu unterdrücken, man soll bitte aufmerksam zuhören. Als kleine Besonderheit wird hier die der Altkadenz in die Terz wiederholt, die jeweils als Takt in den Refrains benutzt wird.

    • Strophe 3 beginnt direkt mit der hohen Oktave F und fällt dann langsam herunter. Der Tonraum wird erneut durch das Es erweitert. Wie auch schon in Estampie wird es lediglich als obere Wechselnote zum d verwendet, da dies auch die einzige Verwendung in den Originalestampien ist. Rhythmisch ist die Strophe unauffällig: Takte 78 und 79 sind sogar ein Zitat aus "Uitime" Strophe 5.

    • Strophe 4 ist in rhythmisch bewegten Zweitaktgruppen angelegt, wie "Seconde" Strophe 3. Der dritte Takt der Strophe (insg. Takt 89) ist ohne Entsprechung in den originalen. "Drei Achtel runter und wieder eine hoch" gibt es höchstens in "Quarte" Strophe 7, geht aber dort nicht in Achteln weiter und ist, unter uns gesagt, auch eine qualitativ zweifelhafte Strophe, die kein gutes Vorbild hergibt. Unsere Strophe 4 endet mit der Kadenz aus "Seconde" Strophe 4.

    • Strophe 5 singt. Breite Rhythmen, startet auf der Terz (zu F), keine besonderen Leittöne oder Sprünge. Um nicht zu sehr eingelullt zu werden gibt es dafür nur sieben Takte.

    • Strophe 6 macht immer noch nicht klar ob das Stück in D-Dorisch oder in F-Ionisch(Dur) bzw. Lydisch steht. Aber der schließende Refrain wurde inzwischen so oft gespielt, dass die Entscheidung wahrscheinlich auf F gefallen ist. Dementsprechend endet Strophe 6 auf der Unterquart (relativ zum Grundton), bzw. Quinte in der tieferen Oktave (absolut gesehen). Was in späteren Jahrhunderten absoluter gewöhnlich ist findet sich in "Chansonnier du Roi" nur ein einziges mal: "Seconde" Strophe 6 Kadenz. Wenn ich mich nicht irre. Metrisch und Rhythmisch ist die Strophe sehr konservativ. Es werden alle Erwartungshaltungen erfüllt. 4T+4T, lange Töne an den richtigen Stellen; Tanzmusik. Eine Erholung nach all den vorherigen Strophen. Sie beginnt mit dem, für alle Genres, Kulturen und Zeiten, typischen Muster: "1. Anlauf, 2. Anlauf, Geschafft." Strophe 6 hat schließlich als Bauprinzip "Grundton F umspielen" und zementiert damit die Entscheidung zur Gesamt-Finalis F.

    Anhang: Notizen zur Analyse

    Siehe Kapitel "Einzelanalysen und Notizen zu Besonderheiten"

    Analyse - La Prime Estampie Royal

    '&=j=I=H=!=g=X=!=f¶=!=f===:=.

    McGee S.57

    Unvollständig. Wird höchstens zur Ergänzung analysiert und herangezogen. Hat nur zwei Strophe und zwei Takte vom ersten Refrain. Anfang der zweiten Strophe hat einen "falschen Auftakt". Drei mal Ton-WH und dann los. Das ist wie ein Anlauf. Aber dann ist hinten ein Takt zu viel dran. Ich gehe nicht von einem Übertragungsfehler aus. Die beiden Strophe sind rhythmisch nicht sehr komplex. Hauptsächlich Halbe-Viertel. Tonart G Mixolydisch.

    Analyse - La Seconde Estampie Royal

    '&=U=R=U=!=E=D=U=D=C=!=b=S=!=b===:=.

    McGee S. 58 + 59

    • Melos nicht ungewöhnlich für 1260.
    • Rhythmische Varianz streng erzwungen, bis alle Takte "aufgebraucht" sind.
    • Jede Strophe ist leicht anders. Der Unterschied S1->S2 ist subtil, dann mit S3, S4, S5 wird es immer deutlicher.
    • Die Estampie fühlt sich metrisch nach Tanz an, aber regelmäßig werden Erweiterungen und Interpunktionen benutzt um den Tanz aufzutrennen.
    • Einstimmigkeit mit temporären Bezugstönen. Es gibt entweder keine Grundtöne oder Borduntöne, oder diese wechseln sehr oft, bis zu drei mal pro Strophe.
    • Die Strophen nehmen aufeinander Bezug, es gibt ein "Geschichte, Dramaturgie". Solange Neues bringen bis es nicht mehr geht.
    • Strophe 4 ist ein starker Kontrast. Das Einhämmern der Taktsynkope ist sehr markant.
    • Eine Anomalie in der gesamten Sammlung: Hier ist in Strophe 5 eine Triole mit Tonwiederholung bei McGee eingetragen. Sowohl Tonwiederholung mitten und am Ende von Achteln als auch Triolen kommen sonst nirgends vor. Bei Leigh und Page kommt das auch beides nicht vor.
    • Volltaktige Strophen mit Taktanzahl: 8, 8, 8, 11, 8, 10
    • Details:
      • Ref 4+4+2 Interpunktion
      • S1: 4+4
      • S2: 4+4
      • S3: 2+2+2+2 (Sehr auffällig beim Hören!)
      • S4: 4+2+3+2 (Bei der 3 ist der erste Takt doppelt. Fast schon: 1 1 2 1 1 3 2)
      • S5: 4+4
      • S6: 4+6 . Die 6 ist innen erweitert: 2+2+2
    • Melos und Bezugstöne
      • S1: F Hypolydisch, aber ohne Ton h
      • Ref Öffnend: In 4T Modulation von F nach D Dorisch runter. Dann muss man sich entscheiden ob man den Rest als Spannung über D aushält oder nach C wechselt. Der letzten Ton ist sehr stark in C.
      • Ref Schließend: Erst gleich (ist ja WH) aber dann geht es klar nach D Dorisch zur Finalis.
      • S2: D-Dorisch, deutlich
      • S3: Eher F. Hypolydisch.
      • S4: F.
      • S5: F, C, D. Unter dem Ton b ein D. Aber das passt alles nicht. -> Keine Grundtöne
      • S6: Ambivalent. Am ehesten C Ionisch, Authentisch.
    • Intervalle: Keine Sext-, Septim- oder Oktavsprünge. Kaum Qurten oder Quinten. Natürlich zählen hier Wiederholungen und Übergänge nicht als Intervalle. Meist Tonschritte, wenig Terzsprünge, und dann auch als Umrahmung mit Gegenschritt. 3 ab, 2 auf. Nur Strophe 4 macht: 3v 3v 3v 4^ als Alleinstellungsmerkmal. Quart und Quintsprünge sind Signale am Anfang oder Ende einer Phase. Immer im Bezug zum Referenzton. Oft Pendel: fcf . oder ada. Einmal vom Grundton weg und einmal auf den Grundton und wieder weg.

    Analyse - La Tierche Estampie Royal

    '&=S=C=D=S=!=b=C=D=!=U=D=C=F=G=!=V=V=:=.

    McGee S. 60 + 61

    • Die Achtelfiguren bewegen sich nie weit weg. In Strophe eins Quarte hoch, Quinte Umfang. Alles andere ist meistens im Terzumfang und geht auch wieder auf den Ausgangston zurück. Soll heißen: Das sind keine Figuren um einen Sprung aufzufüllen und Strecken zu überbrücken sondern um den Rhythmus aufzulockern.
    • Öffnender Refrain 6 Takte, Schließender Ref:7 Takte. Der 7 Takter fühlt sich erstaunlich gut an.
    • Erste Strophe Tonal auf D, Quintumfang. Ganz typische "Mittelaltermelodie"
    • Erste Strophe benutzt Ideen des Refrains
    • Refrains sind sehr ähnlich. Zweiter Refrain macht eine rhythmische Variation des Tonmaterials und dann eine Interpunktion auf der geschlossenen Kadenz.
    • Strophen 1-4 sehr homogen mit Refrain. 5+6 stechen raus.
    • Hat ein paar besondere Figuren:
      • S1 Takt 3: Achtellauf
      • S5 Takt 5-7: Tonwiederholung am Ende einer Achtelkette!!
      • S6 Takt 3: Achtelkette mit Quartabsprung. Vielleicht um eine Tonwiederholung zu vermeiden Quartpendel nach unten?

    Rhythmus

    • S1 jeder Takt eigenes Modell, keiner doppelt.
    • Ref verwendet wörtlich aus Str. 1, nicht nur Rhythmus, sondern auch Töne
    • S2 verwendet viel wieder: nicht nur kamen alle rhythmisch schon in S1 oder Ref vor, sondern auch in S2 sind direkte Wiederholungen und um jeweils einen Takt versetze/verschränkte.
    • S3 und S4: Nicht besonderes. Alles typisch für das Stück, für die Sammlung und für die Zeit. 5 und 6 sind dann anders.

    Anzahl der Takte pro Strophe:

    • 8T, 8T, 8T, 8T, 8T, 7T

    Analyse - La Quarte Estampie Royal

    '&=S=g=!=g=V=!=E=D=U=V=!=d===:=.

    McGee S. 62 + 63

    Gesamteindruck und Auffälligkeiten:

    • Die Repetition um die Kadenztöne herum in den Refrains sind wie in La Tierche. Ein System!
    • Seltsames Stück. Besonderes die hinteren Strophen wirken als ob sie unfertig seien.
    • Refrain Zwei ist tatsächlich sehr stringent und tanztypisch komponiert. Das ist in sich schon eine kleine Melodie.
    • Hat mit 7 Strophen die meisten von all den Estampien der Sammlung. Liegt auch daran, dass die Strophen oft mit 4T so kurz sind.
    • Die Letzte Strophe ist nicht sehr elegant. Untypische Sprünge und Ende auf auf dem h.

    Metrum und Form

    • Öffnender Refrain: 7 Takte, Schließender Refrain: 8 Takte.
    • Strophen: 4T, 4T, 6T, 4T, 6T, 6T, 6T

    Rhythmus Strophe 1 folgt wieder "Jeder Rhythmus nur einmal". Allerdings sind es hier nur vier Takte. Der Refrain wiederholt dann sofort zweimal Halbe-Viertel und ist ganz regelmäßig, wiederholend.

    Melos und Tonalität

    • Tonumfang tiefes C bis hohes f. Also Oktave+Quinte
    • Refrain auf F, Hypo damit. Geht nicht höher als A. Also C bis A, F oben als Grundton. Öffnet auf A (Terz), Schließt auf F (Prime).
    • Refrain könnte man sich auch in D vorstellen, aber das passt insg. nicht so gut, vor allem das Ende in Ref auf der Terz F dann nicht.
    • Strophe 1 auf D. Quinte Tonumfang
    • Strophe 2 F Lydisch
    • Strophe 3 am ehesten wieder D. Wenn es auf F wäre aber auch möglich, dann hat man einen außergewöhnlich ersten und zweiten Takt. In D ist das Ende dafür nicht ganz richtig. Hier ist also, wie in der zweiten Estampie, eigentlich kein richtiger Grundton zu hören und man müsste zur Hälfte der Strophe wechseln oder ganz und gar einstimmig und heterophon spielen
    • Strophe 4 ist deutlich in F Lydisch, sogar mit dem häufigen B als Wechsel zum sozusagen "Ionischen" in der Abwärtstonleiter.
    • Strophe 5 ist reizvoll in F und in D. Beides geht. Die Akzidenzien B und H machen es reizvoll so oder so.
    • Strophe 6 Eher D, vielleicht F. Keinesfalls etwas anderes. Gegen F spricht das der erste Takt direkt "Una nota supra La" verletzen würde, nachdem schon zwei Strophen lang vorher gezeigt wurde, dass das ginge und im Repertoire ist.
    • Strophe 7 Kann man nicht sagen. Da passt nichts. Der letzte Ton klingt wie eine augmentierte Klausel in den Refrain hinein. Von H nach c, also wahrscheinlich Leitton in die Quinte. Das würde aber mehrstimmiges Denken unterstellen. Selbst wenn man das einstimmig mit modernen Akkorden drunter vorstellen würden sind die melodischen Sprünge mit den beiden Quinten zu seltsam. Die deuten ja auf Grundtöne hin (G oder A) , passt aber nicht zum rest. Auch am Anfang der Strophe ist ja ein aufgefüllter Quintsprung von E nach A runter. Mehrheitsvotum würde hier also zu "A" tendieren und dann käme zum Ref der Wechsel nach F, aber keinsfalls nach D.

    Eine Erklärung für den Schlusston von Strophe 7 ist vielleicht die Gesamtanlage der Schlusstöne: e, f, f, g, a, h. Bis auf das doppelte F steigt es die ganze Zeit weiter. Das ist aber am Rand des Akademischen. Es ist zweifelhaft ob das gehört wird. Aber kompositorisch kann so etwas durchaus ein konstruktiver Leitgedanke sein.

    Analyse - La Quinte Estampie Real

    '&=Y=!=Y=X=Y=!=J=I=Z=[=!=Z=Y=O=G=!=f===:=.

    McGee S. 64

    Vier kurze Strophen. Mit Auftakt in der ersten Strophe. Zweiter Refrain endet voll, Strophe 2 fängt voll an.

    Erste Strophe rhythmisch variierend.

    Zweite Strophe ist der Gegensatz dazu. Sie benutzt den starken Takt Halbe-Viertel mehrfach, auch direkt hintereinander. Man könnte am Anfang, bis zum zweiten Ref, fast denken das Stück wäre in C. Aber es muss in A sein, sonst passt die Finalis nicht. In A gibt es einige Spannungen, aber man kann alle Strophen durchhalten.

    Das ist die erste Estampie der Sammlung, die sich nach Bordun anfühlt. Inkl. dem "folkloristischen" Wechsel zwischen A als Grundton und G als Ganztonschritt da drunter im Wechsel. z.B. am Anfang Strophe 3, wird nach G gewechselt um einen Kontrastteil zu haben.

    In Strophe 3 ist ein Quartsprung nach oben e' a'. Das passt zur Beobachtung der anderen Estampien, dass Sprünge immer im Bezug zum Bezugston sind.

    Die ersten beiden Strophen sind klare 4+4 Tanztakte. In Strophe 3 fehlt dann plötzlich hinten ein Takt 4T+3T und in Strophe 4 ist es dan nur noch 3T+3T. Es wird also reduziert. Die natürliche Fortführung wäre, dass dann 2T+2T in der nächsten Strophe käme (und nicht erst 3T+2T, denn alles beschleunigt sich in der Musik, auch die Reduzierung selbst). Statt 1T+1T (weil durchschaubar) käme dann am Ende zur Abrunden ein 4T+4T, wie in Estampie 2: Am Ende was normales.

    Die Strophen werden immer höher. Erst Quintraum, dann geht es hoch bis zum G aber nicht mehr so viel unten rum, nur einmal das A am Anfang zur Stabilisierung. Strophe 3 dann geht bis zum A hoch und bringt keine tiefen Töne mehr. Strophe 4 durchschreitet dann einmal den gesamten Raum. Der Refrain schließlich zieht es immer wieder nach unten zum Grundton, damit man die Referenz weiter im Kopf hat.

    Analyse - La Seste Estampie Real

    '&=E=F=!=U=T=S=!=E=D=E=F=W=!=V=U=D=C=!=e===:=.

    McGee S. 65

    Vier Strophen. Kürzeres Stück. Die Strophenlängen variieren in dieser Estampie am stärksten untereinander.

    Auftakt mit Achtelpaar, das ist eine Ausnahme in der Sammlung. Zweiter Refrain hat nur 3 Takte. Eigentlich 2 mit Interpunktionswiederholung. Form: 1. Ref: 4T, 2. Ref: 3T Strophen: 4T, 6T, 8T (4+4), 9T

    Die ganze Estampie schwebt zwischen F-Lydisch und D-Dorisch. Finalis ist D. In der ersten Strophe bleibt im unteren Tonraum C-F, so dass man oben auch nicht das b/h hören kann. In der letzten Strophe ist der Wechsel zwischen b/h das leitende Prinzip. Selbst deutlicher als in "Septime", wo das nur einmal gemacht wird.

    Auch hier wird das "Nur neue Rhythmustakte bringen"-Prinzip bis zur Mitte der 2. Strophe durchgehalten Auch hier wird "Strophen wandern allmählich im Tonraum nach oben"-Prinzip eingesetzt. Auch hier wird das Prinzip "Erstmal Rhythmus variieren, dann Töne hoch, dann Gimmicks" eingesetzt. Eine Normalisierungsstrophe am Ende gibt es nicht, weil die Estampie so kurz ist. Aber die letzte Strophe ist auch noch "normal" genug. Der Auftakt ist hier vorherrschend. Nur in Strophe 3 ist keiner.

    Analyse - La Septime Estampie Real

    '&=U=V=W=!=V=E=D=U=!=S=V=W=!=U=;=.

    McGee S. 66

    Gesamteindruck und Auffälligkeiten: Kompakter, regelmäßiger, gefälliger. Besonderheiten sind nicht in Rhythmusvariationen oder unterschiedlich langen Strophen. Das fühlt sich alles mehr straightforward nach "Tanz" an. Dieses Stück ist besonders, weil es nicht heraus sticht, außer durch seine Schönheit. Und die Schönheit entsteht durch Balance und abgerundete Ecken.

    Nur 4 kurze Strophen, kurzer Refrain.

    • Der Refrain ist je 4T lang und sich in beiden Varianten sehr ähnlich.
    • Die erste Strophe ist auch nur 4T lang, endet auf einer Kadenz mit großer Lücke, ist also schon geschlossen. Aber es entsteht mit dem Ref eine 4T+4T Form
    • Zweite Strophe ist 8T lang, mit klarer 4+4 Unterteilung. Öffnend, halbschließend... Refrain.
    • Dritte Strophe. 6T. Es sind 4T mit 2T eingeschobenen in der Mitte. Die Strophe hat, ganz besonders, einen Wechsel zum Viertel-Auftakt. Den muss man also vom vorherigen 2. Refrain und dem folgenden 1.Ref abziehen. Spätestens nach 4T ist der wieder weg zum Vollktakt.
    • Vierte Strophe: 6T. Am Anfang zwar kein Auftakt aber tonal fühlt es sich fast danach an. Wieder eingeschobene 2T als Erweiterung.

    Das Stück ist klar in F Lydisch. Inkl. der Tatsache das B und das H manchmal tauschen. Erste Strophe tief, zweite hoch, dritte mittel, vierte tief. Das ist ausbalanciert, was zur Ausgeglichenheit des Stücks beiträgt.

    Besonderheiten sind Kleinigkeiten: Der Wechsel von B und H in einer Strophe. nur einmal eine Auftaktstrophe. Beides die dritte/vorletzte. Insofern ist das Estampienprinzip beibehalten, dass die vorletzte Strophe eine Gimmick-Strophe ist. Aber sehr zahm hier.

    Analyse - La Uitime Estampie Real

    '&=¨=Y=!=i=Z=!=i=O=G=!=f¶=!=f===:=.

    McGee S. 67

    Als Bestätigung eines seltenen Phänomens ist hier nochmal ein Quart-Wechselsprung am Anfang von Strophe 2.

    Seltsames Detail: Was ist das für eine Kadenz im schließenden Refrain? Ist das ein Schreibfehler, da einen Ton zu hoch? Vergleich zu anderen Ausgaben und Aufnahmen:

    • McGee S.67 fe | g (also Leitton von unten, aber dann abspringen auf die zweite Stufe?) Anfangstakt mit Synkope: g4 a2
    • Paul Leigh and Gill Page S.20: fe | f Anfangstakt mit Drei Viertel Wechselnote: g4ag
    • In zehn verschiedenen Aufnahmen (von Capella de Ministrers über Munrow, Savall bis Silke Gwendolyn Schulz) wird klar das F bevorzugt.

    Die meisten Ensembles spielen das Achtelpaar vor der Finalis nicht auf der 1 sondern als freie Verzierungen vor der Zeit, fast schon auf der 3 des letzten Taktes. So sehr möchten die den Grundton auf der 1 haben! Also: Die meisten gehen aufs F. In meinen Noten wird das als Schreibfehler angesehen.

    Tonalität: F herrscht vor. Wenn man ein paar Dissonanzen auch auf Takt- und Strophen-Einsen aushält kann man das komplette Stück durchspielen. Auffallend ist, dass das hohe Es(!) ab und zu vorkommt. Wenn es in F bleibt wird hier in F-Mixolydisch gespielt. Die Alternative, nämlich den Grundton auf C zu wechseln, ist hier noch schlimmer. In C hätten wir dann plötzlich Dorisch. In Strophe 4 kann man aber gut nach C wechseln. Kann man aber auch sein lassen. Die Entscheidung kommt durch die Funktion des Tones Es: Es ist nämlich eine obere Wechselnote. Zwar nicht die höchste Note im Stück (oder im Tonsystem) aber lokal ist das ein Hochpunkt, nachdem beide male sofort umgebogen wird. Bei einer Stilkomposition kann man so was dann also einmal in 10 Stücken, oder so, machen.

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Nils Hilbricht
c/o RA Matutis
Berliner Straße 57
14467 Potsdam
Deutschland

Email: nils@hilbricht.net
Tel: 0221 98657450

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